Ortschaft in Ostfriesland, seit 1237
DER ZWEITE WELTKRIEG
Nach der Machtübernahme durch Hitler hatte in den dreißiger Jahren mehrfach ein neuer Krieg gedroht. Wie
dramatisch sich die Lage im Sommer 1939 zuspitzte, bekamen die Menschen in den letzten Augusttagen zu spüren,
als plötzlich Lebensmittelmar-ken ausgegeben wurden. So wurde von einem Tag auf den anderen die
Bewirtschaftung und Zuteilung von Lebensmitteln und ande-ren Wirtschaftsgütern eingeführt, wie es schon im ersten
Welt-krieg der Fall gewesen war. Kein Wunder, daß die Stimmung in der Bevölkerung gedrückt war, als der Krieg am
1. Sept. 1939 schließlich ausbrach. Im Gegensatz zum ersten Weltkrieg war er zunächst noch begrenzt und spielte
sich in der Hauptsache in Polen ab, das in wenigen Wochen besiegt wurde. An diesem Feldzug nahm aus unserem
Dorf Theodor Oltmanns teil. Er kam zunächst unversehrt zurück.
Die Lage hatte sich noch mehr verdüstert, als am 3. Sept. 1939 England und Frankreich Deutschland den Krieg
erklärten. Die Stimmung vieler Menschen sank auf den Nullpunkt. Die Schule blieb zunächst geschlossen. Man
rechnete mit Luftangriffen. Die größte Angst hatten die Menschen davor, daß dabei Gas eingesetzt werden könnte.
Irgendwann wurden auch Gasmasken an die Bevölkerung verteilt.
Wie begründet die Furcht vor Luftangriffen war, spürten die Menschen schon einige Tage nach Kriegsausbruch, als
englische Flugzeuge über Wilhelmshaven erschienen. Das Abwehrfeuer der Flak war hier deutlich zu hören. An einem
klaren Frosttag einige Tage vor Weihnachten 1939 überflogen zum erstenmal deutlich sichtbar englische Bomber
unsere Gemeinde. Sie wurden von einer Flakbatterie, die bei Jever stand, beschossen. Wie gefährlich es war, sich bei
Flakbeschuß draußen aufzuhalten, wurde deutlich, als ein acht bis zehn cm langer scharfkantiger Splitter einer
Flakgranate in unmittelbarer Nähe eines Kindes zu Boden klatschte.
In dem strengen Winter 1939/1940 blieb es jedoch verhältnismäßig ruhig. Im Westen lagen sich Deutsche und
Franzosen gegenüber; aber obwohl sie sich im Kriegszustand befanden, kam es zunächst nicht zu größeren
Kampfhandlungen. Das änderte sich, als im Mai 1940 der deutsche Angriff einsetzte und den Krieg mit Frankreich
innerhalb weniger Wochen zunächst beendete. An diesem Unternehmen waren auch einige junge Soldaten aus
Eggelingen beteiligt. Es gab unter ihnen ein paar Verwundete. Tote waren jedoch glücklicherweise nicht zu beklagen.
Nach dem schnellen Sieg im Westen kam unter der Bevölkerung so etwas wie Begeisterung auf. Hofften doch viele
auf ein schnelles und siegreiches Ende des Krieges. Aber England gab nicht auf und kämpfte zur See und in der Luft
weiter. Die englischen Flugzeuge kamen jetzt in der Hauptsache nachts. Sie überflogen auch unser Gebiet. Die
Verdunkelungsvorschriften mußten streng beachtet werden. Eine Straßenbeleuchtung gab es damals ohnehin nicht;
aber auch aus den Häusern durfte kein Lichtschein nach draußen fallen, um feindlichen Fliegern kein Ziel zu bieten.
Das Dorf lag in gespenstischer Dunkelheit. Da es hier keine Sirene gab, wurden die Menschen meist erst durch das
Schießen der Flak geweckt. Aber Bombenabwürfe in unmittel-barer Nähe gab es in dieser Zeit noch nicht. Die Leute
standen oft nachts draußen und beobachteten, wie Scheinwerfer der Flak den Himmel nach feindlichen Flugzeugen
absuchten und wie in der Ferne Flakgranaten explodierten. Kam das Flakfeuer näher, suchte man vor Splittern
schleunigst Schutz in den Häusern. Das Ziel der feindlichen Flugzeuge waren die größeren Städte. Nach solchen
Angriffen war der Feuerschein der Brände z. B. in Wilhelmshaven und Emden bis hier zu sehen.
Die feindlichen Flugzeuge begnügten sich hier in diesen Monaten vielfach mit dem Abwurf von Flugblättern. Die
Kinder gingen dann auf "Flugblattjagd". Mit Stöcken bewaffnet zogen sie los und angelten die Flugblätter aus Gräben
und Gebüsch und sahen dann zum estenmal ihre politischen Führer als Karikaturen auf den Blättern abgebildet. Auch
Beschreibungen und Abbildungen tatsächlicher oder angeblicher militärischer Niederlagen der Deutschen und ihrer
Verbündeten waren auf den Blättern zu sehen. Die Menschen rätselten dann darüber, was wohl daran richtig und was
nichts anderes als Propagandaschwindel sei. Das waren übrigens die einzigen Nachrichten, die öffentlich aus dem
feindlichen Ausland nach hier drangen. Es war streng verboten, feindliche Rundfunksender, die auch Nachrichten in
deutscher Sprache brachten, zu hören. Trotz drohender harter Bestrafung gab es jedoch auch in unserer Gemeinde
Leute, die heimlich den Londoner Rundfunk hörten; es war jedoch lebensgefährlich, darüber zu sprechen.
Und noch weitere Grüße gab es aus England. Die feindlichen Flugzeuge gingen dazu über, Brandplättchen
abzuwerfen. Das waren quadratische Zelluloidplättchen mit einer Seitenlänge von vielleicht 8 cm. In der Mitte war ein
Loch, und darin befand sich ein Mullbausch, in welchem eine leicht brennbare Masse (Phosphor oder Schwefel?)
verpackt war, die bei einer bestimmten Temperatur, z. B. bei Sonneneinstrahlung, anfing zu brennen. Kinder zogen
mit Blecheimern los, die Dinger einzusammeln. Sie waren verhältnismäßig harmlos und haben zumindest hier keinen
Schaden angerichtet, obwohl die Engländer sicherlich beabsichtigten, damit Brände anzulegen.
Auf dem europäischen Festland fanden bis zum Frühjahr 1941 keine weiteren Kämpfe statt. Die aus Eggelingen
eingezogenen jungen Leute waren meist beim Heer, so daß es in diesen Monaten unter ihnen keine Verluste gab.
Das änderte sich, als im Juni 1941 der blutige Krieg gegen die Sowjetunion begann. Der erste Eggelinger, der in
diesem Krieg ums Leben kam, war Karl Gralfs aus Greehörn. Er fiel am 26.7.1941 in Rußland. Noch im gleichen
Sommer fand Otto Jürgens aus Toquard ebenfalls an der Ostfront den Soldatentod. Erich Frerichs ging im gleichen
Jahr mit einem U-Boot unter. Dierk Oltmanns fiel am 27.10.1941 im Osten.
1942 blieben wir von weiteren Todesnachrichten von der Front verschont. Aber dann verging bis Kriegsende kein
Jahr, in dem nicht Nachrichten eintragen, daß der Mann, der Sohn, der Vater oder Bruder für "Führer und Vaterland"
(so hieß das nun) gefallen war. 1943 waren es zwei, 1944 drei und in den letzten Kriegsmonaten 1945 noch vier aus
unserer Gemeinde, die in diesem Krieg ihr Leben lassen mußten. Die meisten fielen an der Ostfront. Insgesamt waren
es dreizehn Gefallene und vier Vermißte, deren Namen nach dem zweiten Weltkrieg in das Kriegerdenkmal auf dem
Eggelinger Friedhof eingemeißelt werden mußten. Der Jüngste war 18, der Älteste 53 Jahre alt.
Die Ausweitung des Krieges war nicht gerade geeignet, die Stimmung in der Gemeinde zu heben. Und nun
verstärkten sich auch noch die Luftangriffe. Es war in der Nacht nach dem Ausbruch des Krieges gegen Rußland, als
die Eggelinger durch mehrere gewaltige Explosionen aus dem Schlaf geschreckt wurden. Was genau passiert war,
wußte noch keiner. Am nächsten Morgen stellte sich dann heraus, daß mehrere schwere Bomben (nach der
Erinnerung von Zeitzeugen waren es fünf) in das Gelände zwischen dem Greehörner Weg und der jetzigen Siedlung
"Lange Land", nahe dem jetzigen Kinderspielplatz, eingeschlagen waren. Die Bombentrichter waren mehr als 2 m tief
und hatten am oberen Rand ungefähr einen Durchmesser von 4 m. Ein Blindgänger (eine beim Einschlag nicht
explodierte Bombe) wurde einige Tage später gesprengt. Der Sachschaden war gering. Menschen und Tiere waren
glücklicherweise nicht verletzt worden, obwohl schwere scharfkantige Eisenstücke, die einem Menschen den Kopf
hätten abreißen können, durch die Gegend geflogen waren. Die Eggelinger waren nochmals mit dem Schrecken
davon gekommen. Aber die Vorfälle wiederholten sich. In der Folgezeit fielen Bomben in Schmackens und bei
Barums, glücklicherweise immer in unbewohntes Gebiet.
Nach dem Eintritt der USA in den Krieg gab es auch wieder Tagesangriffe. Die Amerikaner und Briten wechselten sich
ab. Die Engländer flogen weiter ihre Nachtangriffe, und die Amerikaner kamen am Tage. Nun wurden auch Luftkämpfe
hier beobachtet. Brennende amerikanische Bomber überflogen unser Gebiet, und man konnte sehen, wie die
Flugzeugbesatzungen mit dem Fallschirm absprangen. Ein Amerikaner (oder war es ein Kanadier?) gelangte einens
Tages ins Dorf. Feuerwehrleute nahmen ihm die Papiere ab, aber kein Mensch konnte englisch. Also gab man sie ihm
zurück und sperrte den Mann einstweilen ins Spritzenhaus. Als er von einer Wehrmachtsstreife abgeholt wurde, hatte
er seine Papiere inzwischen soweit zerkaut, daß auch derjenige sie nicht mehr lesen konnte, der der englischen
Sprache mächtig war.
Eines Tages stürzte ein Flugzeug östlich von Toquard nur etwa 80 m von der Kreisstraße entfernt in eine Viehweide.
Der Pilot rettete sich mit dem Fallschirm. Ein in der Nähe wohnender Bauer, der den Vorgang beobachtet hatte, eilte
zur Absprungstelle, um den vermeintlichen Feind gefangenzunehmen. Wie groß war sein Erstaunen, als dieser ihn
"plattdeutsch" ansprach. Es stellte sich heraus, daß es sich um einen deutschen Flugzeugführer handelte, der in der
Gegend um Norden beheimatet und bei seinem ersten Luftkampf mit seinem Jagdflugzeug abgeschossen worden
war. Jahre nach dem Krieg versuchten junge Leute, den zertrümmerten Motor des Flugzeuges zu bergen. Sie hofften,
wertvolles Metall zu finden und verkaufen zu können. Aber ihre Mühe war vergebens; zu tief hatte sich der schwere
Motor in die Erde gebohrt.
Die Stimmung und die Ereignisse in unserer Gemeinde während der zweiten Hälfte des Krieges und ihre Erinnerung
an die Bombennacht am 15. Oktober 1944 beschreibt Alice Memenga folgendermaßen:
"Nun kam die Zeit, da Eggelingen die ersten Gefallenen zu beklagen hatte. Ich weiß noch sehr gut - da wir ja die Post
im Haus hatten - wenn die gefürchteten Briefe kamen; Absender: 'Oberkommando der Wehrmacht'. Bei uns im Haus
stellte sich dann immer die bange Frage: 'Wer mag es nun wohl sein?' Diese Briefe gingen dann an eine bestimmte
Anschrift, und der bedauernswerte Mann war, soviel ich weiß, dazu benannt, die Familie eines Gefallenen zu
benachrichtigen. Eine schwere, nicht beneidenswerte Aufgabe, zu den Leuten zu gehen, um ihnen mitzuteilen, daß
der Ehemann, Vater, Sohn oder Bruder für 'Führer, Volk und Vaterland', wie es damals hieß, gefallen sei. Wie gerne
hätten auch diese jungen Menschen mit ihren Angehörigen gelebt.
Dann fand zum nächsten Sonntagsgottesdienst eine Gedenkfeier für die Gefallenen statt. Der Altar wurde mit dem
Bild des Gefallenen mit Trauerflor und Blumen geschmückt, und vor dem Altar wurde ein Schleifenkranz niedergelegt.
Die Familie und die ganze Gemeinde beteiligten sich daran, denn wir saßen ja alle in einem Boot. Fast jedes Haus war
ja irgendwie beteiligt. Dies waren immer sehr ergreifende Gedenkfeiern, denn wir alle wußten und mußten damit
rechnen, daß jeder der nächste sein konnte...
Fliegeralarm gehörte seit Jahren schon zum Tages- und Nachtablauf. Es war im Laufe der Zeit schon zu einer
Selbstverständlichkeit geworden, daß man des nachts schon gar nicht mehr aufstand, bis die Bombeneinschläge
näher kamen. In jedem Haus stand die sogenannte 'Bombenkiste', in der jeder seine Papiere, sein Geld und seinen
Schmuck aufbewahrte, um sie mitnehmen zu können, wenn es sein mußte.
Im Sommer 1944 erlebten wir die ersten Tieffliegerangriffe. Die Leute, die schutz- und wehrlos auf dem Felde
arbeiteten, waren am meisten gefährdet. Ich selbst habe im Sommer einen Angriff beim Heuen miterlebt. Wir wußten
uns keinen Rat, als uns unter Heuhaufen zu verstecken. Die hatten uns dann aber lange entdeckt und schossen
wahllos in die Heuhaufen. Gott sei Dank ist aber nichts passiert.
Am 15. Oktober 1944 haben wir dann den ersten schweren Bombenangriff auf unser Dorf und unsere Gemeinde
erlebt. Zahlreichen Spreng- und Brandbomben explodierten in allernächster Nähe. Wir hatten keine Fensterscheibe,
teilweise keine Fensterrahmen mehr im Haus. Die Gardinen flatterten auf dem Schornstein. Der ganze Garten lag voll
Brandbomben, aber das Haus blieb, wie durch ein Wunder, verschont. Einige Bomben (Brandbomben) hingen in den
Baumkronen, und nach allen Seiten spritzte der Phosphor, so daß der ganze Garten ein Funkenregen war. An diesem
Abend sind in Greehörn das Stallgebäude des Hofes Armland und der Stall vom Hof Scheeperhausen abgebrannt.
Zum erstenmal mußte die Damenfeuerwehr, der nur junge Mädchen und Frauen angehörten, die perfekt von einem
älteren Feuerwehrführer auf Sicherheit und Schnelligkeit am Löschgerät ausgebildet waren, tätig werden. Die haben
die ganze Nacht ohne festes Schuhwerk und ohne Kopfschutz unter schwierigsten Bedingungen - die feindlichen
Bomber waren ja noch ständig über ihnen - den Brand auf Armland gelöscht. Am nächsten Vormittag kamen die
Feuerwehrfrauen völlig erschöpft, verdreckt, durchnäßt und mit zerrissener Uniform nach Hause. Sie hatten ja noch
mehrere Stunden nach dem Löschen an der Brandstelle bleiben müssen als Brandwache. Ablösung gab es nicht; es
war ja niemand da. Der Stall war abgebrannt, aber das Wohnhaus 'konnte gerettet werden. Für die Frauen und
Mädchen ein einmaliges Erlebnis.
Nach dem Angriff liefen die älteren Frauen und Kinder aus dem Dorf über Erdhügel und Glasscherben zusammen,
fielen sich um den Hals und weinten und waren froh, daß alle lebend überstanden hatten. Es war wie ein Wunder, daß
niemand ernstlich verletzt worden war.
Während der folgenden Tage explodierten noch dauernd Zeitbomben. An fast allen Häusern hatte es Beschädigungen
gegeben. Die kaputten Fensterscheiben wurden vorerst durch undurchsichtige Folien ersetzt, denn es gab ja kein
Glas.
Als der Krieg aus war und sich alles so einigermaßen normalisiert hatte, sind diese sehr aktiven, einsatzfreudigen,
verantwortungsbewußten Kriegsfeuerwehrfrauen nie mehr zu einer Adventsfeier bzw. Grillfete eingeladen worden.
Die Aktivität der jungen Frauen und Mädchen war vergessen."
Soweit die Ausführungen von Alice Memenga über die Situation Ende 1944.
Ein trauriges Kapitel der Kriegszeit war das Schicksal der ausländischen Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen. Um
den Arbeitskräftemangel zu überwinden, wurden in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten arbeitsfähige
Menschen, Männer und Frauen, aufgegriffen und, ob sie wollten oder nicht, nach Deutschland verfrachtet. So
tauchten auch hier eines Tages zunächst Polen, später Russen und Ukrainer auf, die als sogenannte Fremdarbeiter
auf die Höfe verteilt wurden und hier arbeiten mußten. Die Polen hatten auf ihrer Kleidung ein ''P'' zu tragen, die
Menschen aus der Sowjetunion die Bezeichnung "Ost". Schon diese Kennzeichnung allein war für sie eine
Erniedrigung, die sie tief verletzen mußte. Wenn sie ansonsten auch durchweg gut, zumindest korrekt behandelt
wurden und genug zu essen und trinken bekamen, fragt man sich doch jetzt, ob wir für ihre Lage immer das nötige
Verständnis aufgebracht haben. Sie waren jedenfalls zwangsweise und gegen ihren Willen hier und waren praktisch
rechtlos.
Außer den Fremdarbeitern waren noch kriegsgefangene Franzosen hier. Das Kriegsgefangenenlager, in dem die gut
20 Franzosen untergebracht waren, befand sich in einem kleinen Haus in Toquard. Die Gefangenen wurden jeden Tag
unter Bewachung zur Arbeit auf die Höfe gebracht. Später gingen sie allein.
Über das Verhalten gegenüber den Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen gab es strenge Vorschriften. Sie durften z.
B. beim Essen mit Deutschen nicht an einem Tisch sitzen. Es gab jedoch Häuser, in denen diese Vorschriften nicht
beachtet wurden und Deutsche, Polen, Russen und Franzosen einträchtig an einem Tisch saßen. Man durfte sich
dabei nur nicht erwischen lassen.
Nun, da der Krieg zuende ging, stellte sich die bange Frage, wie die Fremden sich nach ihrer Befreiung verhalten
würden.
Durch das Vordringen der sowjetischen Truppen im Osten und die damit verbundene Bedrohung und schließlich
Besetzung Ostpreußens, Pommerns und Schlesiens verließen die meisten der dort lebenden Deutschen ihre Heimat
und flüchteten nach Westen. Der norddeutsche Raum hatte weniger durch Kriegseinwirkungen gelitten. Daher kamen
viele der Flüchtlinge nach hier, viele von Ostpreußen auf dem Seewege über die Ostsee. Selbst auf der Flucht waren
sie den Angriffen feindlicher Schiffe und Flugzeuge ausgesetzt.
Am 18. März 1945 trafen in Eggelingen die ersten Flüchtlinge ein. Es tauchten Namen auf, die man hier vorher nicht
gehört hatte. Es handelte sich um die Familien Wilke (4 Pers.), Below (4 Pers.), Klatt (3 Pers.), Bergande (1 Pers.),
Bendig (5 Pers.), Weiß (2 Pers.), Pedd (4 Pers.), Boesel (3 Pers.), Freiberg (4 Pers.), Lange (1 Pers.), Bradtke (2 Pers.),
Urner (1 Pers.) und Lachnitt (2 Pers.).
Die Gemeinde Eggelingen mit Bürgermeister Jabbo Oltmanns hatte nun die Aufgabe, diese Flüchtlinge hier
unterzubringen. Die Häuser, in denen am meisten Platz war, wurden zuerst belegt, z. B. die Häuser von Tjark Ahrends
(Wangerlandstr. 15), von Frau Fauerbach (Warfstr. 17) und das Lehrerwohnhaus.
Es blieb nicht bei dem ersten Schub von Flüchtlingen. Im Laufe der Jahre 1945 und 1946 kam noch etwa die dreifache
Zahl hinzu.
Ursula Oltmanns geborene Braun, Vertriebene aus Kolberg in Hinterpommern, damals etwa 18 Jahre alt, erzählt:
"Als bei uns in Kolberg die ersten Stalinorgeln die Stadt angriffen, wurde es höchste Zeit, sich zu retten. Die
Möglichkeit bestand ja nur über's Wasser, also vom Hafen aus. Den Rucksack und einiges weitere Gepäck
übergehängt, so standen Großvater, die Eltern und wir Kinder am Hafen und warteten darauf, eines der Schiffe zu
betreten. Dann hieß es aber schon, nur Frauen und Kinder kämen mit. Mein Großvater erklärte ganz gelassen: 'Ich
bleibe hier, schließlich habe ich noch für drei Monate Miete gezahlt.'
Als das Schiff ablegte, war man schon etwas erleichtert, dem Geschützdonner entronnen zu sein. Auf der Ostsee
waren die Gefahren natürlich nicht viel geringer; denn Minen und feindliche Flieger waren eine ständige Gefahr. Doch
schließlich legten wir an der noch nicht vom Feind besetzten Ostseeküste in Rostock an und waren dem Kampfgebiet
entronnen. Aber immer wieder im Hintergrund die Sorge, besonders bei meiner Mutter mit uns vier Kindern, wo
würden wir einmal hinkommen und wann würden wir unseren Vater und die Geschwister wiedersehen?
Uns wurden Züge zugewiesen, die uns unter kleineren Schwierigkeiten nach Ostfriesland brachten. So landeten wir
schließlich in Eggelingen. Mein Bruder und ich wurden einem Bauernhof zugewiesen. Meine Mutter und meine beiden
anderen Geschwister wohnten auf dem Nachbarhof. Meine Mutter war froh, daß sie wenigstens vier ihrer Kinder in
der Nähe hatte. Ich war besonders froh, denn ich heiratete den jungen Bauern und wurde Bäuerin auf einem
ostfriesischen Bauernhof. Meine anderen Geschwister und mein Vater fanden bald zu uns. Nachforschungen nach
meinem Großvater blieben erfolglos."
Inzwischen war es April geworden. Der Kanonendonner der sich nähernden Front wurde immer bedrohlicher. Unser
Gebiet war Hinterland der Front geworden. Wehrmachtseinheiten campierten hier. In Ottens Garten direkt an der
Hauswand unter dem großen Kastanienbaum stand ein großes Militärfahrzeug. Eine Kartenstelle, sagten die
Soldaten. Die Tieffliegerangriffe rissen nicht ab. Das war so schlimm, daß man sich draußen kaum noch bewegen
konnte. Nach Wittmund traute sich fast niemand mehr, denn man mußte damit rechnen, daß man angegriffen wurde.
Die an der Landstraße ausgehobenen Deckungslöcher boten nur geringen Schutz.
"Ganz besonders schlimm war es in unserem Garten", erinnert sich Alice Memenga, "immer wieder war dieses
Militärfahrzeug das Angriffsziel. Wie oft haben wir an der Wand auf dem Fußboden gelegen."
Auch in Eggelingen wurde zum letzten Widerstand aufgerufen. Der Volkssturm, alles ältere Männer, die eigentlich
nicht mehr im wehrfähigen Alter waren, wurden aufgeboten. Der Volkssturm war auch beauftragt, beim Herannahen
des Feindes die Sprengladungen zu zünden, die unter der Barumser Brücke und unter dem Durchlaß neben der
Einmündung des Greehörner Weges im Verlauf der Kreisstraße angebracht worden waren. Welch ein Wahnsinn, wenn
man bedenkt, daß die Amerikaner und Engländer übers Meer gekommen waren und es ihnen gelungen war, den
Rhein zu überschreiten. Ein nur wenige Meter breiter Graben konnte doch kein Hindernis sein. Das hatten auch die
hiesigen Volksstürmer erkannt und sich insgeheim einen Rückzugsplan ausgedacht, um beim Anrücken des Feindes
klammheimlich in ihren Häusern verschwinden zu können.
Aber eines Tages herrschte plötzlich eine unheimliche Ruhe. Der Kanonendonner, der sonst ununterbrochen zu
hören war, war verstummt. Zuerst war es nur ein Gerücht, dann wurde es zur Gewißheit, daß die Deutsche Wehrmacht
kapituliert hatte. Es war der 9. Mai 1945. Der Krieg war beendet, bevor die Front unser Dorf erreicht hatte. Wir waren
noch einmal verschont worden.
Einige Tage später wurde auch unser Gebiet von den feindlichen Truppen besetzt. Es war eine polnische Division in
britischen Diensten, die hier einrückte. Die Besatzungssoldaten verhielten sich diszipliniert und korrekt. Trotzdem
hatten die Menschen Angst, insbesondere vor den nun befreiten Franzosen, Polen und Russen. Jetzt zahlte sich aus,
daß sie korrekt behandelt worden waren. Die Einwohner fürchteten sich auch weniger vor den hiesigen
Fremdarbeitern als vor denen, die aus den Nachbargemeinden auftauchten. Sie waren ja nun auf freiem Fuß,
brauchten nicht mehr zu arbeiten, konnten sich frei bewegen und versorgten sich in den Geschäften mit dem, was sie
dort noch vorfanden; niemand konnte sie daran hindern.
Es gab aber auch in dieser wüsten Zeit Beispiele guten Einvernehmens. Eine Russin, die bei Gastwirt Otten gearbeitet
hatte, ging mit zwei Flüchtlingskindern nach Wittmund, gab sie dort als ihre eigenen aus und ließ sie neu einkleiden.
Trotzdem war man froh, als die Fremden etwa Mitte Mai abzogen, um in ihre Heimat zurückzukehren. Dabei gab es
auch freundliche Abschiedsszenen, ein Zeichen, daß gute zwischenmenschliche Beziehungen nicht völlig
untergegangen waren.
Die hier verbliebenen Reste der Deutschen Wehrmacht waren gleich nach dem Einrücken der Besatzungsmacht
entwaffnet worden. Das Gebiet nördlich des Ems-Jade-Kanals wurde nun ein großes "Gefangenenlager". Hier wurden
die Wehrmachtsangehörigen interniert, deren Einheiten dieses Gebiet zuletzt noch verteidigt hatten bzw. hier
stationiert gewesen waren. Hinzu kam die Armee, die bis zur Kapitulation noch einen Teil Hollands besetzt gehalten
hatte. Soldaten vieler Waffengattungen wurden hier sowohl auf den Höfen als auch in den Häusern des Dorfes
untergebracht. Die Offiziere, die selbst in der Gefangenschaft noch Sonderrechte geltend machten, hatten sich
vielfach Privatquartiere gesucht. Die Vielzahl der Soldaten hauste jedoch in Schuppen, Scheunen und Ställen. Eine
militärische Organisation bestand jedoch nach wie vor. In Ottens Gastwirtschaft war eine Schreibstube
untergebracht, und in der Schule befand sich ein Lazarett.
So mußten Einheimische, Flüchtlinge und internierte Wehrmachtsangehörige eine zeitlang auf eng begrenztem Raum
miteinander auskommen. Daß die Versorgung dieser vielen Menschen trotz Mangels an allem Notwendigen
einigermaßen klappte, erscheint heute noch wie ein Wunder.
Von der Besatzungstruppe sah man hier am Ort nicht viel. Abgesehen von einigen motorisierten Streifen machte sie
sich hier kaum bemerkbar. Es war Ende Oktober 1945, als sie eines nachts zur Razzia anrückte. Man hörte schon von
weitem die schweren Kettenfahrzeuge. Der Platz vor Ottens Gastwirtschaft war voll davon. Mit Gewehrkolben
schlugen die fremden Soldaten, es waren offenbar Kanadier, gegen die Haustür, verlangten unmißverständlich Einlaß
und machten sich in Ottens Haus breit. Gegen Morgen, als die Sperrstunde zuende war und die Dorfbewohner mit
ihren Fahrrädern zum Melken fahren wollten, gingen die Ausweiskontrollen los. Niemand hatte natürlich seinen Paß
bei sich. Die Leute mußten dann um 8 Uhr mit ihrem Ausweis auf dem Vorplatz antreten.
Die schwer bewaffneten Soldaten drangen auch in die anderen Häuser ein und schreckten die Bewohner aus dem
Schlaf. Die Einwohnerverzeichnisse, die an jeder Haustür angebracht sein mußten, wurden kontrolliert. Wahllos
wurden biedere Dorfbewohner festgenommen und unter schwerer Bewachung zum Vorplatz zur Ausweiskontrolle
geführt. Gegen 10 Uhr vormittags war der ganze Spuk vorbei. Niemand wurde mitgenommen, aber der Schreck saß
den Eggelingern noch lange in den Gliedern.
Die Entlassung der hier internierten Angehörigen der Deutschen Wehrmacht hatte glücklicherweise schon im
Frühsommer 1945 eingesetzt. Viele mußten jedoch bis zum Spätherbst ausharren und froren in ihren Notunterkünften
erbärmlich. Unter ihnen waren auch viele Österreicher, die sogar bis 1946 blieben. Der Brief eines österreichischen
Offiziers, dessen Bataillon noch im März 1946 von Eggelingen nach Spekendorf verlegt wurde, ist bezeichnend für die
damalige Situation. In diesem Brief, der an den damaligen Bürgermeister Jabbo Oltmanns gerichtet ist, bedankt sich
der Österreicher gleichzeitig für seine Kameraden für die Gastfreundschaft, die den Österreichern hier zuteil wurde.
Er schreibt u. a.: "Als die Österreicher etwa vor einem halben Jahr hier einzogen, ging ihnen ein in keiner Weise
gerechtfertigter übler Ruf voraus. Ich bin vollkommen überzeugt, daß Sie und Ihre Gemeinde durch das Verhalten und
Benehmen der österreichischen Gäste im wesentlichen davon überzeugt werden konnten, die Österreicher wären
besser gewesen als ihr Ruf. In gleicher Weise hat man uns nicht die rosigsten Aussichten gemacht, als wir zur
Übersiedlung nach Ostfriesland heranstanden, weil die ostfriesische Bevölkerung als reichlich hart, wenn nicht als
abweisend zu bezeichnen sei. Ich kann Ihnen, Herr Bürgermeister, versichern, daß auch wir Österreicher unser Urteil
über hiesiges Land und hiesige Leute erst bilden mußten, was weitaus günstiger ausfiel.
Wenn der eine oder andere Fall sich ereignet haben sollte, in welchem sich einige Reibung ergab, so sind diese Fälle
durchaus auf die übergroßen Schwierigkeiten zurückzuführen gewesen, die eine so beträchtliche Aufstauung von
Menschen auf gedrängtem Raum unter den vorherrschenden einmaligen Mangelzeiten auf allen Gebieten der
Lebensführung herbeiführen muß.''
In dem Brief heißt es dann zum Schluß: "Wenn nun das Bataillon morgen von Eggelingen und den Eggelingern
Abschied nimmt, dann wollen Sie alle und wir alle als gute Freunde aus einandergehen und uns gegenseitig ein gutes
und ehrenvolles Angedenken bewahren. Haben Sie, Herr Bürgermeister, und alle Ihre Ihnen Anbefohlenen nochmals
herzlichen Dank für alles Gute, den im Namen des Bataillons ausspricht Ihr Ihnen sehr ergebener gez. Unterschrift,
Hauptmann."
Mit diesem Brief können wir das Kapitel "Zweiter Weltkrieg" beenden, nicht ohne derer zu gedenken, deren Namen in
das Kriegerdenkmal auf dem Friedhof eingemeißelt werden mußten.
N a m e n s v e r z e i c h n i s
der Gefallenen und Vermißten des zweiten Weltkrieges 1939-1945
Karl Gralfs *01.12.1909 +26.07.1941
Otto Jürgens *09.12.1921 +19.08.1941
Erich Frerichs *28.03.1920 +24.10.1941
Dirk 0ltmanns *21.09.1911 +27.10.1941
Meno Bruhnken *16.02.1921 +12.02.1943
Heino Sjuts *11.05.1923 +27.09.1943
August Hillerts *30.06.1918 +26.03.1944
Emil Abels *02.12.1905 +09.08.1944
Hinrich Fauerbach *08.10.1911 +20.05.1944
Heinrich Jakobs *19.01.1920 +08.02.1945
Johannes Sjuts *05.02.1927 +10.03.1945
Herm. Heeren *16.03.1892 +06.04.1945
Emil Becker *04.05.1907 +15.08.1945
Vermißte:
Gerh. Freese *01.09.1900
Joh. Duden *07.03.1902
Theodor Oltmanns *10.08.1916
Joh. Bruhnken *06.03.1920
Auf dem Kriegerdenkmal sind weitere fünf Namen von Gefallenen und Vermißten verzeichnet, die nicht in Eggelingen
wohnten, sondern die in den ehemaligen deutschen Ostgebieten beheimatet waren, deren Angehörige jedoch nach
hier verschlagen wurden:
Walter Barz *20.01.1914 +05.10.1941
Emil Bendig *24.08.1910 +06.11.1943
Ewald Lüdtke *16.08.1908 +05.03.1945
Paul Scheunemann *09.03.1923 +06.07.1943
Vermißt:
Karl Neumann *22.02.1907
Über Johann Duden, der auf dem Ehrenmal als vermißt verzeichnet ist, kam viele Jahre nach dem Kriege die
Nachricht, daß er in der Gefangenschaft verstorben war..