Eggelingen
Ortschaft in Ostfriesland, seit 1237
SITTEN UND GEBRÄUCHE Es gab in unserem Dorf viele Sitten und Gebräuche, von denen man nicht weiß, wann und wie sie entstanden sind, deren Sinn aber noch bekannt ist oder sich zumindest erahnen läßt. Aus mündlichen Überlieferungen weiß man, daß es das "Neujahrslaufen" der Kinder schon vor dem ersten Weltkrieg gab. Am Neujahrsmorgen, schon in aller Frühe, wenn es noch dunkel war, machten sie sich auf den Weg. Vom Dorf zogen sie zumeist erst nach Toquard, dann durch Greehörn nach Groß- und Kleinwarfen und dann zurück zum Dorf. Oft wurden die damals zwischen den Ortsteilen noch bestehenden Verbindungspfade benutzt. In jedes Haus, wenn es nicht zu abgelegen lag, kehrten die Kinder ein und gratulierten den Bewohnern zum neuen Jahr. Als Dankesgabe erhielten sie dann Gebäck aller Art, manchmal auch einen Apfel oder einen Groschen. Die Leute hatten sich auf den Besuch der Kinder eingestellt und sich mit Rosinenstuten, "Prüllkers" oder "Schwemmers" (das war in heißem Fett zubereitetes Gebäck) eingedeckt. In vielen Häusern gab es auch Neujahrskuchen (knusprige Waffeln), die jedoch an Ort und Stelle verzehrt wurden, weil sie in den voll gepackten Körben und Taschen zu Bruch gingen. Oft wußten die Kinder schon im voraus, was sie in den einzelnen Häusern erhielten. Tant' Kunstreich in Toquard war immer besonders großzügig, und die dicken selbstgebackenen Rosinenstuten, die es bei Siebels in Greehörn gab, waren berühmt. Im Dorf nun gab es zum Schluß noch ein Problem: Nämlich den Besuch im Lehrerhaus. Statt des sonst kräftigen gemeinsamen "Proost Neejohr" oder "Wi graleern ok to d'Neejohr" hieß es dann oft schüchtern "Prosit Neujahr", und der Knicks der Mädchen fiel besonders sorgfältig aus. Aber Lehrer Harenberg zeigte sich bei solchen Gelegenheiten jovial und sprach Platt. Gegen Mittag war das "Neujahrslaufen" beendet. Der lange Weg zu Fuß mit den schweren Taschen hatte müde gemacht. Aber es hatte sich gelohnt. Der Vorrat an Stuten und anderen schönen Sachen reichte lange, und sie schmeckten auch noch, wenn sie schon trocken waren. Nach Kriegsausbruch 1939 mußte das "Neujahrslaufen" eingestellt werden, denn Lebensmittel, also auch Backwaren, waren bewirtschaftet. Es war den Leuten nicht zuzumuten, sie körbeweise wegzugeben. Diese schöne Sitte ist nach 1945 nicht wieder aufgelebt. Das "Martinilaufen" mit bunten Laternen zu Ehren Martin Luthers am Abend des zehnten November hat sich jedoch gehalten. Die Geschenke, die die Kinder für ihren Besuch und für die gesungenen Lieder erhielten, waren früher jedoch bescheidener als heute. Es gab keine Schokoladenriegel, kein "Mars" oder "Milky Way", sondern braune, mit Sirup gebackene "Martinikuchen" oder Äpfel aus dem eigenen Garten. Ein Halbmond (ein halbmondförmiges Rosinenbrötchen) war schon etwas Besonderes. Im ersten Kriegsjahr 1939 wurde noch gelaufen, aber weil sie wegen der Verdunkelung abends nicht mit hell leuchtenden Laternen unterwegs sein durften, zogen die Kinder schon nachmittags los. Dadurch hatte das Ereignis natürlich an Reiz verloren. In den späteren Kriegsjahren wurde es dann eingestellt, weil die Leute keine Kuchen mehr zu verschenken hatten. Nach dem Krieg ist diese schöne Sitte jedoch wieder aufgelebt. Auch Kinder aus katholischen Familien, die als Flüchtlinge nach hier gekommen waren, waren manchmal mit dabei. Aber wer wollte es ihnen verübeln. Daß durch diese Sitte Luther geehrt wurde, "de de Papst van Rom de Kroon afsloog", wie es in einem Lied heißt, trat in den Hintergrund. Hauptsache, es machte Spaß. Ein besonderes Ereignis im Februar oder Anfang März war das "Fastnachtslaufen" der Handwerksgesellen und - lehrlinge am Tag vor Aschermittwoch. Früher sollen auch die Meister mitgelaufen sein. Sie zogen maskiert durch die Gemeinde und sangen in den Häusern ihre Fastnachtslieder, z. B.: "Heute woll'n wir Fastnacht feiern und begehren Wurst und Eier und ein wenig Taschengeld, jeder gibt, was ihm gefällt". Das Lied deutet schon an, welche Gaben die "Fasselleute" begehrten und auch erhielten. Jede Gruppe wurde angeführt von einem "Hauptmann", der eine Phantasieuniform trug. Einer war als "Eiertante" verkleidet und hatte die eingesammelten Eier in einer Kiepe oder Kiste zu tragen. Ein Dritter war oft als Teufel verkleidet. Wenn einer in der Gruppe ein Musikinstrument spielen konnte, wurde dieses mitgeführt, z. B. eine Handorgel. Eine aus Holz und Draht und Blechdosen gebastelte Teufelsgeige hatten sie immer dabei. Mit ihr konnte man natürlich keine richtige Melodie spielen, sondern beim Singen allenfalls den Takt andeuten. Der Hauptmann, der auch eine Geldbüchse am Koppel trug, war möglichst noch mit einem Horn ausgerüstet, so daß sich die Gruppe durch lautes Tuten ankündigen konnte. Nach Gründung der Feuerwehr wurde manchmal ein Feuermeldehorn so zweckentfremdet, was stillschweigend geduldet wurde. Die "Fasselleute" wurden mit Gaben durchweg reichlich bedacht. Ihr Besuch wurde keineswegs als Bettelei angesehen, sondern es war eine Tradition, und die Leute rechneten damit. Wenn versehentlich einmal ein Haus ausgelassen wurde, war man hier beleidigt. Im Zusammenhang mit Fastnacht sei noch das Besenwerfen (Bessensmieten) erwähnt, das bei uns seit alters her und auch jetzt noch in Vereinen oder im privaten Kreis geübt wird. Es bedeutet wohl eine symbolische Handlung zum Austreiben des Winters.
Historisches